Vom Schreibtisch zum Trautisch
Nach jahrelangem Dornröschenschlaf bekommt ein altes Möbel aus dem Pfarrhaus eine zweite Chance
Nottuln. „Wenn dieser Tisch erzählen könnte, was er schon alles erlebt hat“, sagt Max Bayer-Eynck und streicht dem Schreibtisch über seine blankpolierte Platte aus Eichenholz. Trotz der sorgfältig ausgeführten Restaurierung von Zimmerermeister Max Bayer-Eynck und seinem Kollegen Eike Siebels, die in der Möbelmanufaktur Kawentsmann mit Sitz in Münster und Nottuln zusammenarbeiten, zeigt die Tischplatte recht deutliche Gebrauchsspuren. Flecke, den ein oder anderen Kratzer, winzige Löcher in der Oberfläche. Ein längs über die Platte reichender Trockenriss, der mit einem millimetergenau ausgesägten Stück aus neuem Eichenholz perfekt verschlossen wurde. Aber das soll auch so sein. „Dieser Tisch hat seine Geschichte und die kann er ruhig auch erzählen“, sagt Eike Siebels und weist dabei auf eine Besonderheit des Möbels hin: „Er hat in beiden Seitenteilen ein Geheimfach, das sich über ein Antippen an einer bestimmten Stelle öffnen lässt.“
Am Donnerstag ist für den alten Tisch, der im 18. oder 19. Jahrhundert als maßangefertigtes Möbel für einen Nottulner Pfarrer gebaut worden ist, ein neues Kapitel seiner Geschichte aufgeschlagen worden. Fortan wird er seinen Dienst als „Trautisch“ in der Alten Amtmannei versehen.
Damit hat auch eine Jahrzehnte lange Odyssee ein Ende genommen, die den alten Tisch als erstes in den Schuppen des Nottulner Friseurmeisters Günter Stückenschneider brachte. Der Friseurmeister war es, der sich des Tisches annahm, als er im Pfarrhaus nicht mehr gebraucht wurde. Zu schade wäre es gewesen, das Möbelstück aus massivem Eichenholz, verziert mit gedrechselten Stelen, detailliert geschnitzten Kapitellen und auffällig profilierten Türen, verkommen zu lassen. Nur eine wirkliche Verwendung hatte Stückenschneider für den großen Schreibtisch dann doch nicht.
Von der Hagenstraße aus gelangte er schließlich in die ehemaligen Tischlerei Leifeld-Strikkeling in der Nottulner Bauerschaft Stockum. Eike Siebels war es, der den Betrieb eine Zeit unter dem Namen Signatur Echtholz weiterführte, und den Tisch von seinem Schwiegervater Günter Stückenschneider übernahm. Genau wie Stückenschneider erkannte Eike Siebels den Wert und den Charakter des Tisches. „Gebrauchen konnte ich ihn für mich leider nicht“, erzählt Siebels und so kam das Möbel auch dort erst einmal ins Lager, wo es trocken und gut geschützt gegen Staub und andere Unbilden ein Dasein im Verborgenen fristete.
„Ich habe mir den Tisch immer mal wieder angesehen und gedacht, den müsste man eigentlich restaurieren und verkaufen“, erinnert sich Eike Siebels. Aber dabei blieb es auch: „Im normalen Tagesgeschäft war nicht daran zu denken.“
Ernsthafte Kaufinteressent:innen für das unrestaurierte Möbelstück gab es indes nicht: „Der Markt für solche Möbel ist zusammengebrochen“, sagt Siebels.
Das bestätigt auch Max Bayer-Eynck, zu dem der alte Schreibtisch, der gut und gerne 100 Kilogramm auf die Waage bringt, als nächstes kam. Zusammen mit Eike Siebels übrigens, der seit dem das Kawentsmann-Team mit seiner Expertise als Tischlermeister verstärkt. Auch dort stand der alte Tisch aus den Beständen der Pfarrgemeinde St. Martin Nottuln erst einmal nur herum, bis in Max Bayer-Eynck die Idee reifte, die Gemeinde Nottuln darauf anzusprechen, ob sie nicht Interesse daran habe. Und die hatte es tatsächlich. Der Kontakt zu Bürgermeister Dr. Dietmar Thönnes war schnell hergestellt: Via Mail und mitgesendeter Bilder war die Entscheidung rasch gefallen: „Den nehmen wir als Trautisch für die Alte Amtmannei“, mochte Dietmar Thönnes dem alten Schreibtisch sehr gerne eine zweite Chance geben.
Gut vier Monate und 50 Stunden Arbeitszeit dauerte das Aufarbeiten des Tisches, der nun nicht nur in altem Glanz erstrahlt, sondern auch drei Neuerungen mitbringt. Zum einen hat er nun eine massive Front aus hellem Eichenholz, die das Musters der alten Profile wieder aufnimmt und den Schreibtisch nach vorne hin schließt und zum anderen bekommt die Platte des Tisches noch eine maßangefertigte Glasscheibe, um das historische Holz darunter zu schützen.
Als Drittes hat das Team von Kawentsmann vier Räder am Boden des ehemaligen Schreibtisches montiert – so kann er leicht und bequem verschoben werden. Das alles gibt es für die Gemeinde zum Nulltarif: „Das ist eine gute Sache für Nottuln und wir wollten es sehr gerne sponsern“, erklärt Max Bayer- Eynck. Jetzt steht der alte Schreibtisch im Obergeschoss der Alten Amtmannei und wartet auf seinen ersten Einsatz als Trautisch, dem hoffentlich noch viele weitere Trauungen folgen werden. Damit der alte Tisch in neuem Gewand noch viele Geschichten erzählen kann.